Aktionsplan gegen Rechtsextremismus

Gemeinsam mit den Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, des Bundeskriminalamts, Holger Münch, und der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser heute den Aktionsplan gegen Rechtsextremismus vorgestellt.

Unsere Demokratie muss wehrhaft sein – im Äußeren wie im Inneren. Sie muss die Feinde der offenen Gesellschaft klar benennen und bekämpfen. 

Die größte extremistische Bedrohung für unsere Demokratie ist der Rechtsextremismus. Die Morde des NSU, das Attentat auf den Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke und die Anschläge von Halle und Hanau haben eine neue Dimension der extremistischen Gefahr offenbart. Diese Gewalt kam nicht aus dem Nichts, sie hat einen Nährboden: 

Rechtsextremismus muss ganzheitlich bekämpft werden – mit Prävention und harter Hand. Der Staat darf nicht warten, bis aus rechtsextremistischen Weltbildern gewaltsame Taten werden. Er muss alles tun, um Gewalt zu verhindern, bevor sie entsteht. Indem wir alle gesellschaftlichen Gruppen ansprechen, für demokratische Aushandlungsprozesse werben, über Gefahren aufklären und auch denen zur Seite stehen, die sich für unsere Demokratie engagieren oder selbst Bedrohungen ausgesetzt sind. Dazu gehört auch, dass wir das Treiben von rechtsextremistischen Organisationen unterbinden, die Hass, Hetze und verfassungsfeindliches Gedankengut ins Netz und unsere Gesellschaft hineintragen. Wo sich dies in Strukturen manifestiert, werden wir nicht zögern, von Vereinsverboten Gebrauch zu machen. 

Mit dem Aktionsplan setzt das Bundesministerium des Innern und für Heimat erste wichtige Schwerpunkte im Kampf gegen Rechtsextremismus in der neuen Legislaturperiode und wird ein effektives Bündel kurzfristig wirksamer repressiver und präventiver Maßnahmen umsetzen. Der Aktionsplan ist ein erster Schritt im Kampf gegen Rechtsextremismus. Die Bundesregierung wird diesen Kampf entschlossen führen, sei es in der Umsetzung und Weiterentwicklung der Maßnahmen des Kabinettausschusses zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus oder bei der Entwicklung einer ressortübergreifenden Gesamtstrategie der Bundesregierung gegen Extremismus und zur Stärkung unserer pluralen Demokratie. Damit ist auch eine klare Botschaft verbunden: Diese Demokratie weiß sich zu wehren. 

1. Rechtsextreme Netzwerke zerschlagen 

Wir wollen rechtsextremistische Netzwerke zerschlagen. Dafür wollen wir sie schneller und besser identifizieren, ihre Strukturen durchschauen und wirkungsvoll bekämpfen. Dazu werden wir die Finanzaktivitäten rechtsextremistischer Netzwerke aufklären und austrocknen. Denn ohne Finanz- mittel gibt es keine Propaganda und keine Aktivitäten, um Menschen zu radikalisieren und zu rekrutieren. Indem wir die Finanzquellen austrocknen, können wir einen wichtigen Beitrag dazu leisten, den Rechtsextremismus entscheidend zu schwächen und terroristische Taten zu verhindern. Das Bundesamt für Verfassungsschutz wird daher die Aufklärung und Analyse rechtsextremistischer Finanzaktivitäten deutlich ausweiten. Ziel ist es insbesondere, wesentliche Netzwerke, Ak- teure und Geschäftsfelder zu identifizieren und zu bekämpfen. So werden beispielsweise über Konzerte, Festivals, Musikprodukte, Kampfsportveranstaltungen und E-Commerce/Ladengeschäfte für Szenebekleidung und Merchandise teilweise beträchtliche Einnahmen erzielt. Neben der fallorientierten Analyse wird das Bundesamt für Verfassungsschutz sukzessive einen Überblick über verbreitete Geschäftsfelder von Rechtsextremisten erarbeiten und deren Bedeutung analysieren, um konsequent gegen Finanzgeflechte im Rechtsextremismus vorgehen zu können. 

2. Rechtsextremisten konsequent entwaffnen 

Waffen in den Händen von Rechtsextremisten sind eine Gefahr. Die Zahlen zeigen den Handlungsbedarf: Rund 1.500 nachrichtendienstlich als mutmaßliche Rechtsextremisten gespeicherte Personen verfügen über mindestens eine waffenrechtliche Erlaubnis. Das wollen wir ändern. Dazu werden wir Verfahrensweisen erarbeiten, um den Entzug und die Versagung waffenrechtlicher Erlaubnisse besser durchsetzen zu können. Unter anderem werden wir ein Forum zum Austausch von Verfassungsschutz-, Waffen-, und Polizeibehörden unter geeigneter Einbeziehung der Verwaltungsgerichte einrichten. 

Zudem wollen wir den Waffenbesitz von Extremisten und auch von psychisch kranken Menschen wirksam verhindern, indem wir sicherstellen, dass den Waffenbehörden bei der Überprüfung von Zuverlässigkeit und persönlicher Eignung eines Antragstellers oder Erlaubnisinhabers relevante Kenntnisse anderer Behörden zur Verfügung stehen. 

3. Hetze im Internet ganzheitlich bekämpfen 

Der Fall Telegram hat gezeigt, dass der Staat sich nicht allein auf die Provider verlassen darf, ent- sprechend der Gesetzeslage gegen strafbare Inhalte vorzugehen. Es muss noch deutlicher werden, dass unser Recht auch im Internet konsequent durchgesetzt wird und die Polizei auch im Netz aktiv ist. Dazu müssen die Behörden entsprechend aufgestellt sein. Wir werden die hierzu erforderlichen Strukturen weiter ausbauen, um die Strafverfolgung strafbarer Inhalte sowie die Lösch- ersuchen gegenüber den sozialen Netzwerken zu verstärken. Das Bundeskriminalamt wird dazu die Entwicklungen im Bereich strafbarer (rechts-)extremistischer Online-Inhalte ganzheitlich an- gehen. Hierzu wird es aufbauend auf der Taskforce Telegram gezielt die sozialen Netzwerke beobachten, um aktuelle Entwicklungen frühzeitig zu erkennen. Darüber hinaus wird das Bundeskriminalamt u.a. seine nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) eingerichtete zentrale Meldestelle für unterschiedliche Partner (wie z.B. Nichtregierungsorganisationen) ausbauen und anpassen und die Bundesländer aktiv unterstützen. Wir wollen so die Strafverfolgung im Zusammenspiel mit den Ländern ausbauen und intensivieren. 

Auch auf europäischer Ebene setzen wir uns für eine konsequente ganzheitliche Bekämpfung von Hass und Hetze im Internet ein. Wie auf nationaler Ebene mit dem NetzDG bedarf es daher auch in der EU geeigneter Rechtsgrundlagen. Zukünftig müssen Diensteanbieter in der EU daher strafbare Inhalte auf Grundlage des Digital Services Act (DSA) an Strafverfolgungsbehörden melden. Deutschland setzt sich für konkrete und verbindliche Verpflichtungen der Diensteanbieter auf EU- Ebene ein. Unsere geltenden nationalen Standards wollen wir zur Grundlage einer europäischen Meldepflicht machen. 

4. Verfassungsfeinde aus dem öffentlichen Dienst entfernen 

Für Verfassungsfeinde ist kein Platz im öffentlichen Dienst. Wer den Staat ablehnt, kann ihm nicht dienen. Auch wenn es sich gemessen an der Gesamtzahl der Beschäftigten nur um ganz wenige Fälle handelt, ist jeder Fall einer zu viel. 

Das Beamten- und Disziplinarrecht verfügt über wirksame Mechanismen zum Vorgehen gegen extremistische Bestrebungen. Diese Instrumente werden wir ausbauen, um Verfassungsfeinde schneller als bisher aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen. Durch eine Änderung des Bundesdisziplinargesetzes wollen wir Disziplinarverfahren beschleunigen. Die Ermittlungsführenden unterstützen wir mit Best-Practice-Empfehlungen, um einheitliches und konsequentes Handeln bei Dienstpflichtverletzungen mit verfassungsfeindlichem Bezug sicherzustellen. 

Die Bekämpfung des Rechtsextremismus im öffentlichen Dienst wird im Verfassungsschutzverbund weiter intensiviert. Betroffenen Bundesbehörden wird die beim Bundesamt für Verfassungsschutz eingerichtete Koordinierungsstelle umfangreiche Beratungs- und Informationsmöglichkeiten anbieten. Die Vorstellung des zweiten Lageberichts „Rechtsextremisten, Reichsbürger und Selbstverwalter in Sicherheitsbehörden“ ist für März 2022 vorgesehen. Wir werden den Lagebericht schrittweise auf den gesamten öffentlichen Dienst ausweiten. 

5. Verschwörungsideologien entkräften – Radikalisierung vorbeugen 

Verschwörungsideologien können mit ihrem antidemokratischen Populismus Türöffner für Rechtsextremismus sein. Durch gezielte Aufklärung und Beratung wollen wir dieser Gefahr entgegenwirken. Hierbei stehen die Verschwörungsideologien im Fokus, die sich gezielt gegen unsere freiheitliche demokratische Grundordnung richten. 

Hierzu soll auf Bundesebene (in Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Trägern) ein zentrales Beratungsangebot für Menschen geschaffen werden, die in ihrem persönlichen Umfeld eine Radikalisierung aufgrund eines wachsenden Verschwörungsglaubens beobachten bzw. vermuten. Es soll damit als Anlaufstelle für das soziale Umfeld von Betroffenen (Angehörige, Lehrkräfte, Sportvereine, Freundeskreis etc.) dienen und diesen Hilfestellung im sozialen Umgang mit den Betroffenen bieten, sodass diese im Idealfall einen Deradikalisierungsprozess anstoßen. 

Auch das Aussteigerprogramm des Bundesamtes für Verfassungsschutz soll auf den Bereich Verschwörungsideologien ausgeweitet werden. Hier sollen diejenigen Hilfe erhalten, die sich aus dem Umfeld organisierter Verschwörungsanhänger etwa der Corona-Leugner lösen wollen und hierbei Unterstützung brauchen. Dafür wird den Hilfesuchenden ein unverbindlicher Kontakt sowie eine qualifizierte Beratung insbesondere bei der Hilfe zum Wiedereinstieg in die Gesellschaft und der Loslösung von extremistischem Gedankengut angeboten. 

Darüber hinaus wird das Bundesministerium des Innern und für Heimat ein Forschungsprojekt in Auftrag geben, welches die Radikalisierungsprozesse im Rahmen der Corona-Pandemie unter- sucht. Auf dessen Grundlage wird ein Handlungskonzept für die weiteren Präventionsmaßnahmen erstellt werden. 

6. Prävention gegen Extremismus – demokratische Streitkultur fördern 

Prävention gegen Extremismus beginnt mit einer offenen, fairen und respektvollen Diskussions- und Streitkultur. Gesellschaftliche Debatten sind jedoch zunehmend von Polarisierung, Spaltung und gezielter Desinformation geprägt. Um dieser Entwicklung effektiv entgegenzutreten, müssen lokale Gesprächsformate der politischen Bildung, die die Konflikt- und Dialogfähigkeit der Bürge- rinnen und Bürger fördern, gestärkt werden. 

Daher wird das erfolgreiche Programm „Miteinander Reden“ der Bundeszentrale für politische Bildung ausgebaut. Hierdurch sollen neue Gesprächsräume geschaffen, kontroverse Positionen und Meinungen zusammengebracht, aber auch Radikalisierungen und extremistischen Tendenzen in der politischen Meinungsäußerung begegnet werden. Die daraus erwachsenden Erfahrungen vor Ort sollen aufbereitet und bundesweit zur Verfügung gestellt werden. Sie ermöglichen eine bewusste Auseinandersetzung mit eigenen Haltungen und Werten und beugen so präventiv Polarisierungen, Verschwörungserzählungen, extremistischen Strömungen und Hetze aktiv vor. 

7. Politische Bildung im Kampf gegen Rechtsextremismus stärken 

Krisen wie die Corona-Pandemie sind der Nährboden für Verschwörungserzählungen, die einfache Erklärungen und „Sündenböcke“ bieten. Die sozialen Medien tragen zu ihrer ungefilterten Verbreitung bei; rechtsextreme Kräfte überführen Verschwörungserzählungen in ihre menschenverachtende Agenda. Hier besteht Handlungsbedarf. 

Schon heute werden bundesweit in Verantwortung der Bundeszentrale für politische Bildung mehr als 100 anerkannte Träger der politischen Bildungsarbeit gefördert. Sie sind auch in den gesellschaftlichen Krisen der Gegenwart verstärkt gefordert. Deshalb wollen wir zivilgesellschaftliche Akteure in ihrer Arbeit verstärkt unterstützen, um gemeinsam Verschwörungserzählungen vor Ort und im Netz aufzudecken und zu bekämpfen. Mit einem neuen Förderschwerpunkt „Politische Bildung zur Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Verschwörungsideologien“ fördern und qualifizieren wir dazu gezielt politische Bildungsträger. Mit Bildungs- und Beratungsangeboten tragen sie in ganz Deutschland entscheidend zu Aufklärung, Sensibilisierung und Qualifizierung von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren an Schulen sowie in der Jugend- und Erwachsenenbildung bei. 

8. Medienkompetenz im Umgang mit Desinformation, Verschwörungsideologien und Radikalisierung stärken 

Die Digitalisierung hat die öffentliche Kommunikation in ihren Grundfesten verändert. Soziale Medien ermöglichen Austausch und Vernetzung, sie tragen aber auch zur Verbreitung von Desinformationen und Verschwörungserzählungen bei. Ihre Wirkung hängt von Verantwortungsbewusstsein und Kompetenz derer ab, die sie nutzen. Nicht erst die Corona-Proteste legen das große Mobilisierungs- und Radikalisierungspotenzial auch abseits der großen Social-Media-Plattformen offen. Die politische Bildung muss auf diese Verschiebung von Debatten(räumen) in halböffentliche und private digitale Kommunikationsformate mit der Weiterentwicklung ihrer Angebote reagieren. Mit dem Förderprogramm „Demokratie im Netz“ der Bundeszentrale für politische Bildung wer- den neue und weitergehende Angebote der politischen Bildung geschaffen, die auf die Darstellungs- und Kommunikationslogiken der Plattformen ausgerichtet sind. Nutzerinnen und Nutzer sollen gezielt adressiert und dabei unterstützt werden, als „mündige Netzbürger“ Informationen kritisch zu hinterfragen und gegen Hass und Hetze sowie Desinformation einzutreten. 

9. Schutz von Mandatsträgern 

Amts- und Mandatsträger sind vermehrt Anfeindungen und Angriffen ausgesetzt. Auch am Bei- spiel der aktuellen Corona-Pandemie tritt dies verstärkt in den Vordergrund. So hat sich die Zahl der erfassten politisch motivierten Straftaten gegen Kommunalpolitikerinnen und –politiker in den letzten Jahren mehr als verdreifacht. Die Zunahme von Hass, Bedrohungen und Straftaten gegen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister zeigt: Es handelt sich längst nicht mehr um Einzelfälle, sondern um ein bundesweites Problem in allen Regionen und in allen Stadt- und Gemeindegrößen. Diese Angriffe drohen unser gesellschaftliches Miteinander nachhaltig zu stören und sind eine Ge- fahr für die Demokratie. 

Die aktuelle Lage zeigt, dass wir Konsequenzen ziehen müssen, um Amt- und Mandatsträger noch besser zu schützen. Passgenaue Maßnahmen müssen mit den Betroffenen vor Ort erarbeitet wer- den. Deswegen wird das Bundesministerium des Innern und für Heimat eine „Allianz zum Schutz kommunaler Mandatsträger“ ins Leben rufen, der neben den Ländern auch kommunale Spitzenverbände, kommunalpolitisch Tätige sowie zuständige Behörden und zivilgesellschaftliche Organisationen angehören werden. Diese Allianz wird innerhalb eines Jahres konkrete Vorschläge zum verbesserten Schutz von kommunalen Amts- und Mandatsträgern erarbeiten. Wir werden in Abstimmung mit Ländern und Kommunen für die Umsetzung dieser Vorschläge eintreten. 

10. Opfer von Rechtsextremismus nicht allein lassen 

Die Anzahl der rechtsextremistischen Straftaten ist noch immer auf hohem Niveau. Und hinter je- der dieser Straftaten steht ein Schicksal, stehen ein Mensch und seine Angehörigen, die zu Opfern geworden sind. Ziel dieses Aktionsplans ist es, den Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor rechtsextremistischen Taten erhöhen. Wo Bürgerinnen und Bürger dennoch zu Schaden kommen, setzt sich das Bundesministerium des Innern und für Heimat dafür ein, dass der Staat den Anliegen der Betroffenen einfühlsam und wohlwollend begegnet. 

Konkret unterstützen wir die Länder dabei, die besonderen Bedarfe von Betroffenen und Angehörigen in der polizeilichen Einsatzlage vor Ort noch besser berücksichtigen zu können. Das Bundeskriminalamt arbeitet gemeinsam mit den Ländern an der Weiterentwicklung der strategischen Zusammenarbeit und dem Aufbau eines speziellen Netzwerkes zur Opferfürsorge. Genauso stärken wir gemeinsam mit den Ländern die Polizeiausbildung: Wir wollen interkulturelle Kompetenzen noch stärker vermitteln und mit Schulungen für einen sensibleren Erstkontakt und für mehr Transparenz gegenüber Angehörigen sorgen. 

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