Abschaffung des §219a
Vor wenigen Tagen hat der Bundestag die längst überfällige Streichung von § 219a beschlossen. Damit wird ein wichtiges Zeichen einer modernen Gesellschaftspolitik der Regierungskoalition gesetzt und eine langjährige Forderung der SPD und vieler Menschen aus der Zivilgesellschaft und Wissenschaft wird endlich Wirklichkeit.
Bei dem sogenannten „Werbeverbot“ für Schwangerschaftsabbrüche in § 219a StGB ging es ja nie wirklich um „Werbung“ im eigentlichen Wortsinn, sondern es führte bisher dazu, dass Ärzt*innen für die öffentliche Verbreitung sachlicher Informationen über rechtmäßige Schwangerschaftsabbrüche (z.B. welche medizinische Methode sie anwenden und wie diese funktioniert) bestraft werden können. Es ist notwendig und längst überfällig, dass sich ungewollt schwangere Frauen in einer gleichberechtigten Gesellschaft des 21. Jahrhunderts gerade bei dafür besonders qualifizierten Ärzt*innen sachlich informieren können.
Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Frauen
Die Streichung von § 219a StGB stärkt die reproduktive Selbstbestimmung von Frauen. Frauen, die ungewollt schwanger sind, stehen frühzeitig alle Informationen bereit, um selbstbestimmt eine Entscheidung treffen zu können. Zu einer guten und zeitgemäßen medizinischen Versorgung gehört ein ungehinderter öffentlicher Zugang zu verlässlichen sachlichen Informationen. Ärzt*innen, die selbst Schwangerschaftsabbrüche durchführen, können aufgrund ihrer besonderen Vertrauensstellung und ihrer Fachkenntnis und Praxis besonders gut über Schwangerschaftsabbrüche informieren. Diese Informationen setzen auch unlauteren Informationsquellen von Abtreibungsgegner*innen etwas entgegen.
Rehabilitierung verurteilter Ärzt*innen
Die Kriminalisierung von Informationen über eine legale Leistung zur Erfüllung eines staatlichen Versorgungsauftrages ist widersprüchlich und ungerecht. Die wegen §219a StGB verurteilten Ärzt*innen verdienen nicht Strafverfolgung, sondern gesellschaftliche Anerkennung dafür, dass sie ihre Patientinnen in einer schwierigen Situation durch Aufklärung unterstützt haben. Deswegen werden durch das Gesetz die Strafurteile, die aufgrund des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche seit dem 3. Oktober 1990 ergangen sind, aufgehoben.
Keine Missbrauchsmöglichkeiten für radikale Abtreibungsgegner*innen
Die Aufhebung des § 219a StGB verbessert die Rechtssicherheit für Ärzt*innen. Abtreibungsgegner*innen können die Vorschrift nicht wie in der Vergangenheit für Einschüchterungsversuche von Ärzt*innen missbrauchen. Denn die fast 100 Jahre alte Strafvorschrift erlangte ihre Bedeutung erst ab dem Jahr 2015 durch vermehrte missbräuchliche Strafanzeigen durch radikale Abtreibungsgegner*innen, die zu öffentlichkeitswirksamen Verurteilungen von Ärzt*innen führte.
Damit durch eine Änderung der jeweiligen Berufsordnung durch die Ärztekammern auf Landesebene sachliche Informationen nicht wieder beschränkt werden, wird im Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG) ein ausdrückliches Informationsrecht ein-gefügt. Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen, Krankenhäusern sowie Ärzt*innen – aber auch Dritten –, ist es danach gestattet, auch öffentlich sachlich und berufsbezogen über die Vornahme von legalen Schwangerschaftsabbrüchen zu informieren. Sachliche Informationen über Arzneimittel, die bei medikamentösen Schwangerschaftsabbrüchen verwendet werden, sollen ebenfalls rechtssicher möglich sein. Dazu wird klargestellt, dass auch das Heilwerbegesetz rein sachlichen Informationen nicht entgegensteht.
Regelung anstößiger Werbung
Das Gesetz nimmt die Gefahr unangemessener Werbung in den Blick und erweitert den Anwendungsbereich des Heilmittelwerbegesetzes. So gelten die bewährten Beschränkungen für Heilmittelwerbung auch im Hinblick auf Schwangerschaftsabbrüche. Irreführende Werbung und bestimmte Formen anstößiger Werbung wie beispielsweise Preisausschreiben bleiben weiterhin sanktioniert. Anpreisende und vergleichende Werbung ist für Ärztinnen und Ärzte nach dem Berufsrecht sowieso schon verboten und kann von den Ärztekammern beispielsweise mit Bußgeldern geahndet werden.
Schutz des ungeborenen Lebens
Die Streichung von § 219a StGB hat keine Auswirkung auf das verfassungsrechtliche Schutzkonzept für das ungeborene Leben. In seinen ausführlichen Entscheidungen zum Schwangerschaftsabbruch erwähnt das Bundesverfassungsgericht die Vor-schrift an keiner Stelle. Vielmehr stärkt der Zugang zu sachlichen Informationen eine selbstbestimmte Entscheidung der Schwangeren.
Wie geht es weiter?
Mit dieser wichtigen Entscheidung ist es aber noch nicht getan. Nach unserer Meinung hat der Schwangerschaftsabbruch im Strafgesetzbuch nichts zu suchen. Deshalb haben wir auch im Koalitionsvertrag vereinbart: "Wir setzen eine Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin ein, die Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches sowie Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellspende und der altruistischen Leihmutterschaft prüfen wird." Wir bleiben also dran an dem Thema!