Inflationsbekämpfung: Zwischen den Grenzen der Geldpolitik und den Möglichkeiten der (Fiskal-)Politik
Mit über 7% erleben wir eine Inflation, die Menschen meiner Generation bisher nur aus den Geschichts- und Lehrbüchern kennen. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit sind die Warnungen vor einer „Ära der hohen Inflation“ aktuell weit verbreitet. Während die Auswirkungen der Inflation sich grundsätzlich ähneln, ist es entscheidend zu differenzieren und die Ursachen der unterschiedlichen Inflationsentwicklungen genauer zu betrachten - denn die Maßnahmen zur Bekämpfung der Inflation müssen an die jeweiligen Besonderheiten angepasst werden.
Negative Angebotsschocks als Hauptursachen für die Inflation
Es gibt zwei wesentliche Ursachen für die aktuelle Inflationsentwicklung: der Energiepreisschock durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine, Lieferengpässe und unterbrochene Lieferketten als Folgen der Covid-19 Pandemie sowie anhaltende Lock-Downs in China. Beides führt dazu, dass die Preise für viele Produkte ansteigen, insbesondere die Preise für Güter aus energieintensiver Produktion. Die Inflation im Euroraum ist also nicht das Ergebnis von übermäßiger Nachfrage und hoher Kaufkraft im Markt. Es geht nicht um eine weitflächig überhitzte Wirtschaft mit Nachfrageüberschuss, sondern um eine Knappheit auf der Angebotsseite.
Die Dilemmata der EZB und die Grenzen der Geldpolitik
Auch die expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) hat in den vergangenen Jahren ihren Teil zu dem aktuellen inflationären Umfeld beigetragen. Die Nullzinspolitik und die Anleihekaufprogramme haben zur Erhöhung der Geldmenge im Euroraum geführt. Daher ist es richtig, dass die EZB angesichts der Situation nun eine „Normalisierung“ der Geldpolitik eingeleitet hat. Ihr Kurs soll den Inflationsverlauf im Bereich des Zielwerts von 2% zementieren.
Allerdings befindet sich die EZB vor zwei Dilemmata und die Geldpolitik wird bei der Inflationsbekämpfung an ihre Grenzen kommen. Zum einen, kommt es durch die Straffung der Geldpolitik zu einer Verknappung der Geldmenge, einer Reduktion von Kaufkraft und zum Abkühlen der Konsum- und Investitionslaune insgesamt. Dadurch könnte eine überhitzte Nachfrage weitflächig gebremst werden. Im aktuellen Fall allerdings liegt keine weitflächige Überhitzung der Nachfrage vor. Die Konsumausgaben privater Haushalte liegen unter dem vor-Corona Trend und der Einzelhandelsumsatz im April 2022 lag um 5,4% niedriger als im Vormonat (das ist der größte Umsatzeinbruch im Vergleich zum Vormonat seit 1994). In dieser Situation Konsum und Investitionen über eine restriktive Geldpolitik zu bremsen, kann zwar das Inflationsniveau grundsätzlich reduzieren, erhöht allerdings zugleich die Gefahr einer Rezession erheblich.
Zum anderen muss die EZB mit ihrer Geldpolitik die gesamte Eurozone im Blick behalten. Kurz nach der Ankündigung einer ersten Zinsanhebung auf 25 Basispunkte am 1. Juli stiegen die Renditen zehnjähriger Staatsanleihen, insbesondere in Griechenland, Italien, Spanien und Frankreich. Steigende Zinsen machen Verschuldung teurer. Zusätzlich zeigte sich, dass Anleger nicht von der Fähigkeit einiger Länder der Eurozone überzeugt sind, bei steigenden Leitzinsen weiterhin ihre Schulden zu tilgen. Steigende Zinsen könnten insbesondere die Staaten in Schwierigkeiten bringen, deren Schuldenlast bereits hoch - und deren Wachstumskraft gering ist. In der Notfallsitzung der EZB am 15. Juni verpflichtete sich die EZB „gegen die wieder aufkeimenden Fragmentierungsrisiken vorzugehen“.
Die Straffung der Geldpolitik als Maßnahme zur Bekämpfung der Inflation gefährdet also potenziell die Konjunktur und die Stabilität im Euroraum. Es ist daher wichtig, dass die Normalisierung der Geldpolitik graduell erfolgt, um auf die bestehenden Unsicherheiten und weitere wirtschaftliche Entwicklungen gezielt reagieren zu können. Darüber hinaus muss die EZB die richtigen geldpolitischen Instrumente auswählen und zwischen Zinsschritten, Ankäufen von Vermögenswerten und der Bereitstellung von Liquidität abwägen.
Aber auch bei einer graduellen Normalisierung wird keine geldpolitische Maßnahme – so restriktiv sie auch sei – die Inflation alleine und nachhaltig bekämpfen können. Die negativen Angebotsschocks lassen sich nicht mit geldpolitischen Instrumenten reduzieren. Hier kommt die EZB an ihre Grenzen.
(Fiskal-)politische Maßnahmen zur Bekämpfung der Inflation
Neben der Geldpolitik bedarf es komplementärer (fiskal-) politischer Maßnahmen als Reaktion auf die Inflation. Dabei müssen wir zwischen Maßnahmen unterscheiden, die kurzfristig notwendig sind, um insbesondere Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen gezielt zu entlasten, und strukturellen Maßnahmen mit denen sich die Inflation tatsächlich bekämpfen lässt.
Kurzfristig hat die Ampelkoalition über die Entlastungspakete von ca. 30 Mrd. Euro bereits gehandelt. Während der „Tankrabatt“ wenig zielgerichtet wirkt, sind das 9-Euro Ticket mit über 30 Millionen verkauften Tickets, die Unterstützung für Arbeitende sowie für Leistungsbeziehende gezielt und präzise, um Menschen zu entlasten. Als SPD-Fraktion setzen wir uns für weitere Entlastungspakete ein. Immer mit dem Ziel, diejenigen zu unterstützen, die am meisten unter den steigende Preise leiden: Gering- und Normalverdienende.
Es braucht aber auch strukturelle Maßnahmen, um die Ursachen der Inflation zu bekämpfen und die Wirtschaft mittelfristig und nachhaltig anzukurbeln. Wir müssen unsere Energiequellen diversifizieren und die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen aus Russland reduzieren. Als Übergangslösung werden wir Erdgas und LNG Flüssiggas aus anderen Ländern beziehen. Mittelfristig ist der massive Ausbau von erneuerbaren Energien unabdingbar. Das muss strukturiert, gezielt und zügig geschehen.
Des Weiteren müssen wir die Engpässe auf der Angebotsseite dauerhaft beseitigen. Dafür müssen wir Lieferketten diversifizieren, umstrukturieren und (neue) wertebasierte Partnerschaften schließen.
Schließlich bedarf es Maßnahmen zur Gewinnung von Fachkräften, ohne die sich die Angebotslücken nicht füllen und die anstehende Transformation nicht realisieren lässt. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das seit März 2020 gilt, hat bisher – nicht zuletzt aufgrund der Corona Pandemie – kaum Wirkung gezeigt. Es gilt nun aufbauend auf diesem Gesetz die bürokratischen Hürden abzubauen – insbesondere bei der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse. Ebenso müssen wir ungenutzte Potenziale heben und für eine höhere Arbeitsmarktpartizipation sorgen. Dabei könnten Umschulungen, Weiterbildung und Zusatzqualifizierungen hilfreich sein, um den hohen Anteil an unfreiwillig Teilzeitbeschäftigten (insbesondere bei Frauen) zu reduzieren.
Zur Bekämpfung der aktuellen Inflation sind vor allem (fiskal-)politische Impulse unabdingbar. Solidität und eine Anhebung der Zinsen werden die steigenden Preise alleine nicht bekämpfen bzw. nur zum Preis von Rezession und Instabilität in der Eurozone. Es ist daher wichtiger denn je, die Bevölkerung gezielt zu entlasten, Planungs- und Investitionssicherheit zu ermöglichen und ggf. Ressourcen gezielt zu steuern.