FairErben
Warum eine Reform der Erbschaftssteuer notwendig ist
In den vergangenen Wochen haben das Jahressteuergesetz und die Neubewertung von Immobilien zu einer intensiven Debatte um die Erbschaftsteuer geführt, die auch die Frage der Balance zwischen berechtigtem Schutz von Eigentum einerseits und Ermöglichung von Chancengleichheit andererseits wiederbelebt hat.
Im Kern geht es darum, dass die Bewertung von Immobilien an das aktuelle Marktniveau angepasst wird – nicht um eine höhere Erbschaftssteuer, wie es zuletzt häufig zu lesen war. Die Ampel-Koalition setzt damit eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts[1] um. Dieses hatte bereits 2006 verlangt, dass Immobilien bei Erbschaften und Schenkungen marktgerechter bewertet werden müssen und ihr Wert dem tatsächlichen Verkehrswert entsprechen sollte.
Aber die Debatte um die Erbschaftssteuer muss geführt werden - denn die aktuelle Ausgestaltung ist ungerecht. Nicht weil sie möglicherweise zu niedrige Freibeträge vorsieht, sondern weil sie zulässt, dass die ganz großen Vermögen steuerfrei weitergegeben werden. Damit verpasst sie ihr (verfassungsrechtlich erklärtes) Ziel, einen Beitrag zur Herstellung sozialer Chancengleichheit, die sich in einer freien Ordnung nicht von selbst herstellt, zu leisten. Dieser Beitrag ist angesichts der immer gravierenderen Ungleichverteilung von Vermögen in Deutschland - und damit Chancen und Einfluss - bitter nötig.
Damit gefährdet die unzulängliche Erbschaftsteuer die Demokratie sowie den sozialen Zusammenhalt und schwächt wirtschaftliche Resilienz.
Status Quo der Erbschaftssteuer
Wie viel wird vererbt? In Deutschland werden jährlich etwa 400 Milliarden Euro vererbt oder verschenkt. Zur besseren Darstellung: mit 400 Milliarden Euro könnte man 400.000 Menschen oder ganz Halle und Darmstadt zu Millionär*innen machen. Davon wurden 2021 118 Milliarden Euro steuerlich berücksichtigt. Die daraus resultierenden Steuereinnahmen betrugen zuletzt allerdings lediglich 11,5 Milliarden Euro (9,4 Milliarden Erbschaftssteuer und 2,1 Milliarden Schenkungssteuer). Das sind nicht einmal 3% des Gesamtvolumens.
Wer erbt? 50% der Deutschen Erben nicht. Von den verbleibenden 50% erben die reichsten 10% die Hälfte des Erb- und Schenkungsvolumens (also etwa 200 Milliarden für 10% der Deutschen pro Jahr). Über 50% des bestehenden Vermögens in Deutschland wurde nicht von aktuellen Generationen erarbeitet, sondern beruht auf Erbschaften und Schenkungen. Damit tragen Erbschaften und Schenkungen erheblich zur Vermögenskonzentration bei immer weniger Menschen in Deutschland bei und vergrößern den Unterschied zwischen Arm und Reich jedes Jahr. Bereits jetzt besitzen zwei Familien so viel wie 50% der gesamten Bevölkerung zusammen. Erben leben meist in Westdeutschland, sind männlich und weiß. Zwischen 2009 und 2020 erhielten 3.630 Großerb*innen ein steuerbefreites Vermögen von 260 Milliarden Euro[2].
Wie sind die Regeln der Erbschaftssteuer aktuell? Deutschland hat einen progressiven Erbschaftssteuersatz, der von der persönlichen Beziehung zwischen Geber und Begünstigtem abhängt. Es gibt drei Steuerklassen mit je sieben Steuersätze, die höher ausfallen desto größer der Wert des Erbes oder der Schenkung ist. Die Steuersätze liegen für Ehepartner, eingetragene Lebenspartner, Kinder, Stiefkinder und enge Verwandte z.B. zwischen 7% bis 75.000 Euro, 15% bis 600.000 Euro und 30% ab 26 Mio. Euro. Bei entfernteren Verwandten, Schwiegereltern oder Freunden liegen die Steuersätze zwischen 15-50%.
Wie werden Erbschaften geschützt? Alle 10 Jahre können persönliche Freibeträge verschenkt werden. An Kinder können so alle 10 Jahre 400.000 Euro verschenkt werden. Ein Ehepaar mit zwei Kindern kann also alle 10 Jahre 1,6 Mio. Euro steuerfrei verschenken. Darüber hinaus gibt es umfassende Ausnahmen für Betriebsvermögen und Anteile an Kapitalgesellschaften. Bei einem begünstigten Betriebsvermögen von weniger als 26 Mio. Euro werden grundsätzlich 85% von der Steuer verschont. Zu den verbleibenden 15% wird das Verwaltungsvermögen (z.B. vermietete Grundstücke, Freizeit- und Luxusgegenstände, Kapitalgesellschaften bei einer Beteiligung bis zu 25%) addiert und je nach geltenden Freibeträgen und Steuersätzen besteuert. Bei Betriebsvermögen über 26 Mio. Euro greifen Verschonungsbedarfsprüfungen (weisen die Erben nach, dass die Steuerschuld nicht aus dem „verfügbaren Vermögen“ beglichen werden kann, wird die auf das begünstigte Vermögen entfallende Steuer komplett oder zumindest teilweise erlassen) und Familienunternehmen betreffen Ausnahmen mit Regeln zum Vorabschlag und Optionsverschonungen. Darüber hinaus gibt es natürlich verschiedenste Möglichkeiten der Steuergestaltung. Überspitzt lässt sich festhalten: Wer aktuell Erbschaftssteuer zahlt, ist entweder verantwortungsbewusst, hat ein verhältnismäßig kleines Vermögen geerbt oder ist steuerlich schlecht beraten.
Gravierende Folgen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die wirtschaftliche Resilienz
Die aktuelle Erbschaftssteuer ist ungerecht. Durch die umfangreichen Ausnahmeregelungen für Erb*innen von Unternehmen/Betriebsvermögen führt sie dazu, dass Menschen die mehr erben anteilig weniger Steuern zahlen als Menschen die weniger erben – sie wirkt ab ca. 10 Mio. Euro Erbschaft regressiv. Sie ist auch ungerecht, wenn man sich vor Augen führt, dass auf erarbeitetes Einkommen durchschnittlich mehr Steuern gezahlt werden als auf verschenktes Erbe. Darüber hinaus untergräbt die Erbschafssteuer die Prinzipien der Leistungsgesellschaft und Chancengleichheit. Egal wie viel Intelligenz, Bildung oder Fleiß Menschen aufbringen, der Zufall ihrer Geburt entscheidet zunehmend über ihre Fähigkeiten zum Vermögensaubau und ihren Lebensstandard. Diese große Vermögensungleichheit untergräbt den gesellschaftlichen Zusammenhalt, sie lässt soziale und politische Teilhabe schwinden, dämpft Zufriedenheit und verstärkt Abhängigkeiten. Hohe Vermögenskonzentration schadet aber auch der wirtschaftlichen Resilienz und Innovationskraft. Sie verschenkt wertvolle Potenziale, wenn Menschen nicht ausreichend in (Aus-)Bildung investieren können und kein fairer Wettbewerb herrscht.
Eine Reform ist dringend notwendig
Deutschland braucht eine wahrhaftig progressive Erbschaftssteuer, bei der für größere Erbschaften ein höherer Steuersatz gilt als für kleinere steuerpflichtige Erbschaften und Schenkungen. Um das zu erreichen, müssen die Steuerprivilegien und Gestaltungsmöglichkeiten für Superreiche abgeschafft werden. Das heißt, dass die Vergünstigungen für große Unternehmenserbschaften (insbesondere oberhalb der aktuell gültigen Grenze von 26 Mio. Euro), weitestgehend aufgehoben werden müssten. Das heißt aber nicht, dass Unternehmen zerschlagen, verkauft und Arbeitsplätze verloren gehen. Lösungen wären z.B. längere Stundungen, so dass das Eigenkapital des Unternehmens nicht gefährdet wird oder Steuerschulden in öffentliche (stille) Unternehmensbeteiligungen umzuwandeln. Parallel dazu kann über höhere Freibeträge bei Privatvermögen nachgedacht werden, um z.B. Marktentwicklungen bei Immobilien Rechnung zu tragen. Genauso können Lösungen gefunden werden, um Erb*innen von Mehrfamilienhäusern zu entlasten, die ihre geerbten Wohnungen zu fairen Preisen vermieten wollen.
Angesichts der aktuellen Krise, der hohen Inflation und dem fiskalischen Druck gilt der Satz „starke Schultern können mehr tragen“ umso mehr. Über die kurzfristigen Entlastungsmaßnahmen hinaus steht unsere Wirtschaft und Gesellschaft vor großen Aufgaben, um die notwendige digitale und ökologische Transformation zu bewältigen. Diese wird ohne staatliche Lenkung und Investitionen nicht sozial verträglich und klimaneutral umsetzbar sein und erfordert ein gerechtes Steuersystem. Dies ist auch der gesellschaftspolitische Kontext, in dem wir die Debatte rund um eine Reform der Erbschaftssteuer verstehen und führen müssen. Eine Reform der Erbschaftssteuer würde dafür sorgen, dass die stärksten Schultern - die reichsten 10% der Bevölkerung - mehr Steuern zahlen und sich damit auch stärker an den Entlastungen in der Krise sowie der Finanzierung der der multiplen Krisen und der Transformation beteiligen.
Autoren:
Tim Klüssendorf, SPD-Fraktion, Mitglied im Finanzausschuss und Berichterstatter zur Erbschaftssteuer, Mitglied im Leitungskreis der Parlamentarischen Linken
Parsa Marvi, SPD-Fraktion, Mitglied im Finanzausschuss, Mitglied des Seeheimer Kreises
Armand Zorn, SPD-Fraktion, Mitglied im Finanzausschuss und Stellvertretender Finanzpolitischer Sprecher, Sprecher des Netzwerkes
[1] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2006/11/ls20061107_1bvl001002.html
[2] Die Zahlen stammen aus einer Studie des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), welche gemeinsam mit der Universität Vechta und dem Deutschen Zentrum für Altersfragen (DZA) auf Basis des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) durchgeführt wurde.